Wie wir bereits wissen, wurde die Bevölkerung durch Flugblätter über Hinrichtungen informiert, die über die Bluttaten – mit Illustrationen oder mit Gedichten – berichteten. Sogenannte „Urtheilsweiber“ verkauften diese und verdienten sich als Kolporteurinnen vermutlich etwas dazu. Durch die Ankündigung versammelte sich die Masse dementsprechend am Tag der Hinrichtung am jeweiligen Schauplatz, um dem Spektakel beiwohnen zu können und die ganze Szenerie wurde auch noch musikalisch von sogenannten Moritatensängern untermalt.

Doch hier stellt sich uns die Frage, warum eigentlich? Die Hinrichtung hätte doch genauso gut abgeschieden in einem Hof – ohne Einbezug der Öffentlichkeit – vollstreckt werden können!? Die Antwort lautet Volksjustiz!

Volksjustiz

Wenn wir an das Mittelalter denken, sollte uns bewusst sein, dass das einfache Volk damals weder lesen noch schreiben konnte – mit einigen wenigen Ausnahmen. Und dass der Tod eine wesentlich größere Rolle im Leben spielte als heutzutage. Dies waren mitunter Gründe, dass sowohl Verhandlungen als auch Hinrichtungen öffentlich ausgeführt wurden. Nur so konnten sich diese Menschen aktiv am Rechtsleben beteiligen. Vor der Verurteilung wurden nochmals die Ver- und Gebote gepredigt und die Bevölkerung somit daran erinnert, was rechtens ist und was nicht. Und natürlich sollte der Vollstreckungsakt als Abschreckung dienen. Dass diese Justiz als Volksjustiz ausgelegt werden kann, zeigen z.B. auch die Schand- bzw. Ehrenstrafen, bei denen der Verurteilte z.B. am Pranger gestellt und dem Volk und dessen Spott hilflos ausgesetzt worden war. Die Volksjustiz ist jedoch nicht mit willkürlicher Lynchjustiz zu verwechseln! 

Das damalige Verständnis von Ehre war übrigens ein anderes als heutzutage. Damals umfasste die Ehre das soziale Ansehen, den Ruf und den Leumund. Die Ehre betraf somit die ganze Person.

Die weltliche Gerichtsbarkeit

Die Gerichtsbarkeit, also Rechtsprechung bzw. -pflege, wurde in die Hohe und in die Niedere Gerichtsbarkeit eingeteilt. Dies betraf die weltlichen Gewalten, abgesehen davon gab es noch die kirchliche Gerichtsbarkeit, die nach dem kanonischen (= päpstlichen) Recht richtete.

Hohe Gerichtsbarkeit

Die Hohe Gerichtsbarkeit bzw. auch Blut- oder Halsgerichtsbarkeit, auch bekannt als Blutbann und als Vogteirecht, war – wie der Name schon erahnen lässt – für die Körper- und Lebensstrafen zuständig und hat ihren Ursprung – wie so oft – bei den Römern.

Ius gladii, Das Schwertrecht (Symbolfoto)
Ius gladii, Das Schwertrecht (Symbolfoto)

Das sogenannte „Schwertrecht“, Ius gladii, bestand seit dem Römischen Reich und beinhaltete die rechtliche Bevollmächtigung, dass außerhalb Roms Todesstrafen ausgesprochen und durchgeführt werden durften. Dieses Recht wurde im Rahmen der Kapitalgerichtsbarkeit (für Kapitalverbrechen) unabhängig vom Stand römischen Statthaltern verliehen und bedurfte keiner kaiserlichen Bestätigung. Hat eine gerichtliche Instanz dieses Recht nicht verliehen bekommen, musste die Rechtsprechung an den römischen Kaiser abgegeben werden. Außerdem war dieses Recht zur Blutgerichtsbarkeit ausschließlich den Römern vorbehalten.

Das Wort Kapital lässt sich übrigens vom lateinischen capitalisableiten, was so viel wie „den Kopf betreffend“ bedeutet, daher wusste damals wohl jeder, was auf einen zukommt…

Seit dem 12. Jahrhundert waren auch Friedensbruch und Freiheits- sowie Liegenschaftsstreitigkeiten Angelegenheit dieser Gerichtsbarkeit, wobei das Hauptaugenmerk weiterhin auf Straftaten wie z.B. Raub, Mord, Hexerei usw. und somit der Todesstrafe lag.

Ähnlich wie im antiken Rom erteilte bzw. übertrug auch hier der Landesfürst die Befugnis, die Blutgerichtsbarkeit ausüben zu dürfen, an die Herren des dafür zuständigen Landgerichtes (= Blutbannleihe). Der Stadtrichter konnte auch als Vertreter des Landesfürsten agieren, ab dem 13. Jahrhundert wählten die Bürger direkt den Amtsrichter. Im Hochmittelalter hatte der Landesfürst die oberste Gerichtsgewalt inne. 

Seit dem 16. Jhdt. bis 1848 gab es auch noch den landesfürstlichen Bannrichter, der als Kontrollorgan wirkte. Des Weiteren wurde die Hohe Gerichtsbarkeit für adelige Landstände von einem eigenen Landgericht, dem sogenannten „Adeliches Criminal-Judicium“, unter dem Vorsitz des Landeshauptmannes, ausgeübt.

Niedere Gerichtsbarkeit

Gegenstände der Niedergerichtsbarkeit waren zivil- und strafrechtliche Aufgaben, die sich unter anderem mit Schand- und Ehrstrafen, Schuld- und Fahrnisklagen sowie leichte Straftaten beschäftigten. Im Frühmittelalter agierten Stadt- und Amtsvögte als Richter bzw. staatlicher Beamter, Rechtsbeistand und früher auch als Vertreter des Feudalherrschers. Im 12. Jahrhundert übten Grundherren die niedere Gerichtsbarkeit aus, seit Mitte des 13. Jahrhunderts wurde dafür meist ein eigener Stadtrichter eingesetzt. 

Ab dem frühen 15. Jahrhundert durften Bürger den Stadtrichter wählen und mancherorts wurde ihm auch die Hochgerichtsbarkeit übertragen. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde das Amt des Stadtrichters aufgrund des Bürgermeisteramtes auf die Zivil- und Strafsachen reduziert. Sein oberstes Ziel war, dass er in der Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte, des Weiteren hatte er auch Vorsitz im Rat und im Gericht, musste den Markt beaufsichtigen und Gewichte als auch Maße kontrollieren.

Der Stadtrichter wurde alle 2 bis 4 Jahre neu gewählt und musste daraufhin nach Wien reisen, um sich die „Acht und Bann“, die volle richterliche Gewalt, zu holen. Die Reise fand oft mit einer Zille (Schiffstyp) auf dem Fluss über die Traun und die Donau statt. Bis ins 16. Jahrhundert galten Edelfische aus der Traun als Ehrengeschenk für Wiener Beamte.

Mit der Zeit entwickelte sich auch ein eigener Rat, der dem Richter zur Seite stand und sich um die Verwaltungsgeschäfte der Stadt kümmerte. Sobald eine Stadt den Status einer landesfürstlichen Stadt innehatte, war sie nicht mehr dem Burggrafen unterstellt, sondern dem jeweiligen Landeshauptmann. 

Übrigens, im 17. Jahrhundert verdiente ein Bannrichter umso mehr, desto länger ein Gerichtsverfahren dauerte!

Die „Freyung“

Femegericht/Friedensgericht - Verhandlung vor dem Stadtgericht
Femegericht/Friedensgericht – Verhandlung vor dem Stadtgericht

Der Wirkungskreis des Stadtgerichtes wurde durch sogenannten „Burgfriedsäulen“ definiert, dieser territoriale Bereich wurde mitunter auch „Frieden“ genannt. Unter dem Wort „Freyung“ meinte man so einem Friedbereich, dazu zählten u.a. Märkte, Kirchen, Friedhöfe, Gerichtsplätze, die auch Dingfriede genannt wurden, usw. Wenn es jemand wagte, diesen Frieden zu stören, wurde er der Friedbruchstrafe ausgesetzt, was meistens Handabschlagen beinhaltete.

Die Marktfreyung selbst war ein Holzarm mit Schwert oder Fahne und symbolisierte das Marktrecht.

Der Henker bzw. Scharfrichter war übrigens auch als Freymann bekannt, dem Bannrichter unterstellt und zum Schutz des Henkers wurde vor jeder Hinrichtung der sogenannte „Freymannsfrieden“ ausgerufen  – Übergriffe auf den Scharfrichter waren unter absolute Strafandrohung gestellt.

Apropos, wusstet ihr, dass der Henker Körpergewicht und Fallhöhe bzw. Seillänge richtig berechnen musste, ansonsten wäre der Kopf des Verurteilten beim Hängen abgerissen… nicht nur ein unschöner Anblick, sondern auch fatal für den Henker, immerhin musste er sein Können unter Beweis stellen und der Bevölkerung eine schöne Hinrichtung bieten! Erst bei der richtigen Berechnung wird durch die korrekte Geschwindigkeit ein Genickbruch erreicht. Bei einer zu kurzen Fallhöhe hätte das Seil die Luftröhre abgeschnürt und die Halsschlagadern abgedrückt, sodass das Opfer nur ohnmächtig geworden wäre. Bei einer falschen Anlegung der Schlinge wäre das Opfer langsam erstickt, dies dauerte mitunter bis zu einer Viertelstunde…

Entwicklung der Rechtspflege

Bis ins 13. Jahrhundert war die Rechtsprechung mehr ein Gewohnheitsrecht, das eher mündlich überliefert worden ist und durch verschiedene Gerichte in den Dörfern und Städten durchgeführt worden ist, und das auch noch in jedem Territorium anders! Die obigen Schilderungen wurden teilweise in jeder Stadt anders gelebt und ausgeführt! 

Bewährtes und Verständliches wurde immer weitergegeben und von verschiedenen Personenkreisen angewandt. Nicht zu vergessen, dass auch noch die mittelalterliche 3-Ständeordnung (Klerus, Hoch- und Niederadel, Bauern und Bürger) eine Rolle spielten. Rechtliche Kenntnisse waren somit weit verbreitet, jedoch nicht niedergeschrieben. Dies änderte sich gegen Ende des Hochmittelalters durch die Ausbreitung des Territorialstaates, und somit standen im Spätmittelalter Rechtsbücher und volksgerichtliche Strukturen zur Verfügung, die auf dem römischen Recht aufgebaut worden sind und die unterschiedlichen Gewohnheitsrechte sowie das kanonische Recht zusammenführten. Diese Rechtsbücher wurden „Spiegel“ genannt, da aus der Art der Strafe das begangene Verbrechen abgelesen werden sollte, sozusagen „spiegelnde Strafen“. Daraus entwickelte sich die Rechtspflege und juristische Beamte wurden ausgebildet. Somit wurde das Recht dem Volk entfremdet und entwickelte sich zu dem, was es heute ist: ein eigenes Studium.

Sachsenspiegel*
Sachsenspiegel*

Der sogenannte Sachsenspiegel von dem Schöffen Eike von Repgow ist eines der bedeutendsten und ältesten Rechtsbücher des Mittelalters und entstand im 13. Jahrhundert. Er gilt außerdem als eines der ersten Prosawerke in deutscher Sprache und diente als Vorbild für weitere Rechtsbücher.

Ab 1356 war die „Goldene Bulle“ das wichtigste kaiserliche Gesetzbuch des Heiligen Römischen Reiches.

Die Entwicklung der Strafgesetzbücher ab dem 15. Jahrhundert werden wir in unserem nächsten Blogartikel behandeln!


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*Sachsenspiegel Bildquelle:
https://www.ulb.tu-darmstadt.de


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Text:

Manuela Supan, BA.

Teil des ArchäoNOW-Teams und Studentin der „Urgeschichte und Historischen Archäologie“