Man stelle sich vor….

Ein stilles und dunkles Wien – die Pferde schlafen in den Stallungen, keine Kutsche ist am Weg. Grillen zirpen in der Ferne und die Sterne funkeln am Himmelszelt. Eine friedvollere Atmosphäre kann es kaum geben. Doch plötzlich hallt ein markerschütternder Schrei durch die Nacht und lässt kleine Kinder aus ihren Betten hochschrecken. Der Schrei bleibt nicht alleine und lässt weitere folgen. Eine Person muss wohl schreckliche Schmerzen erleiden. Jedoch bleibt die Stimme nicht allein…

Für uns klingt es wie der Beginn eines Horrorfilms, doch für die Wiener des 18. Jahrhunderts waren diese Nächte ganz normal.

Woher kommen diese Schreie? Was passiert? Wer wird gequält und warum?

DER TURM FÜR IRRSINNIGE

Der Ursprung der Schreie ist ein damals neuer Gebäudekomplex, der als Krankenhaus für „Irrsinnige“ fungieren soll. Genauer handelt es sich um einen runden Turm, der am 19. April 1784 als erstes offizielles Spital für Geisteskranke, damals „Irrsinnige“ genannt, eröffnet wurde.

Die Rede ist von dem heute bekannten „Narrenturm“ oder „Guglhupf“, der sich auf dem Gelände des alten AKH befindet. 

Fotografie des Narrenturm um 1895
Fotografie des Narrenturm um 1895

Joseph II. hat auf einen seinen vielen Reisen nach Frankreich, zu seiner Schwester Marie Antoinette, Gefallen an der französischen Architektur gefunden und wurde dadurch inspiriert eine neue architektonische Form nach Wien zu bringen – die runden Bauformen.

Natürlich musste dieser Bau, an dem der Kaiser höchstpersönlich mit Architekt Isidore Carnevale arbeitete, einen Sinn und Zweck erfüllen – die Geburtsstunde des Narrenturms.

Zeitgleich ließ Joseph II. eine medizinisch-chirurgische Militärakademie (Josephinum) und dem dazugehörigen Militärspital neben dem Turm errichten. Diese Gebäude wurden mit dem bereits bestehenden Gebäudekomplex (vorher Armen- und Invalidenhaus) zusammengefasst und als Allgemeines Krankenhaus eingerichtet. Durch die Erschaffung des „Irrenturm“ war es erstmals möglich Menschen mit Geisteskrankheiten zu behandeln. Es war der Beginn einer (staatlich angeordneten) „Irrenpflege“ in Europa.

DIE ARCHITEKTUR DES NARRENTURMS

Der Turm weist eine charakteristische Rundform auf, die einer Zahlensymbolik nachempfunden wurde. Joseph II. war Anhänger der Rosenkreuzer und in deren alchemistischer Lehre hatte die Zahl 28 eine große Bedeutung. Daher besteht der Turm selbst aus 5 Stockwerken mit je 28 Zimmer, wobei sich diese im Außenring des Turmes befanden und durch einen runden Gang miteinander verbunden waren. Die unterschiedlichen Stockwerke konnten nur durch ein kleines Zimmer nach den Treppen betreten werden. In diesem Zimmer befand sich meist ein Aufseher, der die flüchtenden Patienten spätestens dort wieder einfangen konnte. 

Im Inneren des Gebäudes befand sich ein Hof (aus der Vogelperspektive ist ein „Guglhupf“ zu sehen), der durch ein Mittelgebäude in zwei Hälften geteilt wird. Im Dachgeschoß dieses Mittelgebäudes soll sich ein Zimmer für Joseph II. befunden haben, in denen er in Ruhe seinen Studien nachgehen konnte. Der Kaiser zog sich gerne dorthin zurück. Trotz Geschrei und Getobe konnte er dort in „Ruhe“ seinen Studien nachgehen, denn die Umgebung und Atmosphäre des Narrenturm schrak den ihn verfolgenden Adel ab.

Modell des Narrenturm. Copyright: Bundesdenkmalamt*
Modell des Narrenturm. Copyright: Bundesdenkmalamt*

Manche behaupten der Narrenturm sei ein versteckter Mondkalender, sodass der Mond jede Nacht in ein anderes Zimmer scheinen konnte. Der Schein des Mondes konnte bei den schmalen schießschartenähnlichen Fenstern nur ein schmaler Lichtschlitz sein. Wie schauderhaft oder hell das Patientenzimmer dadurch gewirkt haben muss, kann man sich vorstellen. Allerdings bestand Joseph II. darauf, dass alle Patienten genug Zugang zu Licht bekämen, da dies für die gesundheitliche Genesung förderlich sei.

Damit die Patienten des „Irrenturms“ sich ungestört draußen frei bewegen konnten, wurde 1795 rund um den Turm zusätzlich eine Mauer errichtet, die sie vor den Blicken der Schaulustigen schützen sollte. Dieser Garten wurde „Garten der Irren“ oder auch „Irrengarten“ genannt, aus dem sich später der „Irrgarten“ (= „Labyrinth“) entwickelt hat. Allerdings durften sich hier nur leise, also „brave“ Patienten aufhalten und „herumirren“. Die Umfriedung des Gartens wurde erst im 20. Jh. entfernt.

DER NARRENTURM – EIN ORT VOLLER GRAUEN?

Neben den Lauten der „Irrsinnign“ war der Geruch in der Umgebung sehr speziell. 

Das Wiener allgemeine Krankenhaus mit dem Narrenturm. Copyright: IMAGNO/Wien Museum**
Das Wiener allgemeine Krankenhaus mit dem Narrenturm. Copyright: IMAGNO/Wien Museum**

Nicht weit entfernt befand sich der sogenannte Wirtschaftshof (ab 1984 Druckerei-Gebäude der Nationalbank), in dem sich Stallungen, eine Wäscherei, eine Verbrennungsanlage, ein Heizhaus, ein Kohlenabladeplatz, die Desinfektion und ein Glashaus befanden. Auf diesem Hof wurden unter anderem die Leichen zerstückelt, der Verbrennungsanlage zugeführt und die übrig gebliebenen Knochen und die Asche anschließend in Eimern zu den Friedhöfen gebracht.

Auf der anderen Seite des Narrenturms befand sich ab 1784 das Pathologie-Gebäude,  welches als Leichenkammer fungierte und in dem Obduktionen durchgeführt wurden. Erst 1796 wurde ein zusätzliches Leichenhaus errichtet.

Im Hof des Militärspitals wurden im Garten Alpenpflanzen, Arznei- und Giftpflanzen, wichtige fremdländische Medizinal- und Nutzpflanzen angebaut. Diese sollten für eigens hergestellte Medizin dienen, die in den Laboren der Apotheke des Militärspitals hergestellt werden konnten.

Zusätzlich war das ganze Gebiet rund um den Narrenturm auf einem ehemaligen Friedhof (Pesttote!) errichtet worden. Die Wiener Bevölkerung glaubte damals rege an den Vampirismus, was die gesamte Umgebung zusätzlich in ein gruseliges Schauermärchen tauchte.

DER WIENER ABERGLAUBE

Der Narrenturm war also „sprichwörtlich“ von Leichen umgeben. Die Luft war erfüllt von einem Gemisch von Kohle, Stall, Leichenteilverbrennungen und Kräutern, gepaart von wahnsinnigem Gelächter und Geschrei (sei es Tag oder Nacht). Zusätzlich wurde der Komplex mit einem mulmigen Gefühl betreten, da es sich um ehemaliges Friedhofsgebiet handelte, wo bestimmt nachts der ein oder andere Vampir wiederauferstanden war.

Im nächsten Artikel gehen wir genauer auf die Patienten des Narrenturms ein…..


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*Bildquelle: https://www.habsburger.net/de/node/9370

**Bildquelle: https://campus.univie.ac.at/fuehrungen/


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Text: Mag. Katharina Oremus, MSc.

Magistra der Klassischen Archäologie und Master of Science der Biologischen Anthropologie